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Proteste in Belarus – sozioökonomische Hintergründe und linke Politik

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Proteste in Belarus – sozioökonomische Hintergründe und linke Politikred_initial12 August, 2021 - 13:38

Der litauische Philosoph Andrius Bielskis analysiert in diesem Artikel die Gründe der gegenwärtigen Proteste in Belarus aus historisch-materialistischer Perspektive. Er betont, dass die Proteste in Belarus längerfristige, vor allem sozioökonomische Ursachen haben, und geht auf Schwerpunkte der politischen Ökonomie der heutigen belarusischen Gesellschaft ein. Bielskis weist hin auf das Bündnis zwischen Bourgeoisie und Bürokratie, das dem Lukaschenko-Regime lange Zeit die Treue gehalten habe. Doch mittlerweile setze sich das aufstrebende Bürgertum vom Regime ab und strebe selbst nach Macht.

 

Die herrschenden Medien und das politische Establishment in Litauen und anderswo in Europa haben vielfach behauptet, die Proteste in Belarus seien in erster Linie durch die Behinderungen und Manipulationen bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 ausgelöst worden. In Anbetracht der Tatsache, dass es in der Vergangenheit nach ebenso unfairen Wahlen Proteste gab, handelt es sich dabei jedoch zweifellos um eine einseitige Sichtweise. Es gab andere Gründe für die massiven Proteste, die im August 2020 entstanden. Ziel dieses kurzen analytischen Beitrages ist es, aus einer historisch-materialistischen Perspektive diese Gründe sowie einige Schwerpunkte der politischen Ökonomie der heutigen belarusischen Gesellschaft zu untersuchen. Eine Hauptquelle für diesen Bericht ist ein ausführliches Interview mit Pawel Katarscheuski, einem linken politischen Aktivisten, Politikwissenschaftler und Mitglied der Belarusischen Vereinigten Linkspartei „Gerechte Welt“.
 

Gründe für die Proteste von 2020

Die Präsidentschaftswahlen von 2015 waren ähnlich unfair – und doch gab es damals keine massiven Proteste auf den Straßen. Wie Matthew Frear in seiner Studie „Belarus Under Lukashenka: Adaptive Authoritarianism” (London, New York 2019, S. 64) erläutert, handelte es sich 2015 um Wahlbetrug, wobei Alexander Lukaschenko wahrscheinlich auch gewonnen hätte, wenn die Wahlen frei und fair gewesen wären. Anders im Jahr 2010, als es in der Nacht nach der Wahl zu Protesten kam, welche gewaltsam von der Polizei niedergeschlagen wurden. Das Ausmaß der Proteste von 2020, die durch eine unfaire Wahl ausgelöst wurden, war allerdings beispiellos. Doch es gibt noch andere, schwerwiegende Gründe für die Explosion der öffentlichen Unzufriedenheit mit dem Regime. Der Hauptgrund dafür liegt in der Verschlechterung der sozioökonomischen Lage in Belarus. Das Regime hat zuletzt Kürzungen bei der sozialen Sicherung vorgenommen, zugleich wurden viele soziale Dienstleistungen kommodifiziert. Obendrein sanken die Realeinkommen und mit ihnen der Lebensstandard.

Die Menschen wünschten sich eine Möglichkeit, politisch Einfluss auf ihr Leben zu nehmen, doch seit Mitte der 1990er Jahre wurden ihnen von den Behörden sämtliche Instrumente der Entscheidung aus den Händen genommen. Laut Pawel Katarscheuski fiel die Verschlechterung der sozialen Bedingungen mit einer politischen Krise des autokratischen Regimes zusammen, das man als „bonapartistisch“ charakterisieren könnte. Nach der Analyse von Karl Marx in „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (1852) versuchen solche Regimes, zwischen den Klassen und sozialen Gruppen zu manövrieren. Sie nutzen militärische Macht – es ist aufschlussreich, dass Lukaschenko in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren Angehöriger der sowjetischen Armee war – , um revolutionären Bewegungen die politische Macht zu entreißen und diese später gegen radikale Proteste der Bevölkerung einzusetzen. Was Lukaschenko anbelangt, so hat er etwas Ähnliches getan: Er bot sich den Massen als „sauberer“ Kandidat an, als ein Kandidat jenseits von links und rechts; er versprach, die Korruption einzudämmen und usurpierte dann schrittweise die Macht auf Kosten der Bevölkerung.


Vom autoritären Staatskapitalismus zum liberaldemokratischen Marktkapitalismus?

Eine wichtige Frage ist, wie das sozioökonomische System und die Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik in Belarus seit 1994, als Lukaschenko die Macht übernahm, zu beschreiben sind. Mit einigen Vorbehalten ließe sich das System als staatskapitalistisch bezeichnen. Pawel Katarscheuski formuliert es folgendermaßen: „Als Lukaschenko an die Macht kam, erbte er von der Sowjetunion eine große, staatlich kontrollierte Industrie. Damals kam es in Belarus zu einer Konfrontation zwischen drei bedeutenden gesellschaftlichen Gruppen: der Bürokratie, dem Proletariat und der neu entstandenen Bourgeoisie. Die Bürokratie und die Bourgeoisie fürchteten, die Arbeiterklasse würde die Wiederherstellung der sozialen Sicherheiten aus der Sowjetzeit fordern. Nach der allgemeinen Enttäuschung über das stalinistisch-breschnewsche System wurde schnell klar, dass die schöne neue Welt des Kapitalismus nicht viel besser sein würde. Unter diesen Bedingungen riefen sie nach einem Diktator, der die Lage stabilisieren sollte. Alexander Lukaschenko wurde ein solcher Diktator – aber hätte es Lukaschenko nicht gegeben, dann wäre es Wjatschaslau Kebitsch oder jemand anders geworden. Die rasche Privatisierung, die Anfang der 1990er Jahre gerade erst eingesetzt hatte, wurde gestoppt, und das ermöglichte es der Bürokratie, ihre gesellschaftliche Position zu erhalten und wie zu Sowjetzeiten weiter am staatlichen Eigentum zu schmarotzen. Zugleich wurde die Bourgeoisie immer stärker und bildete die für diese Klasse charakteristischen Züge aus. So entstand ein System, das man als staatskapitalistisch bezeichnen kann. In gewissem Sinne erinnert es an den Korporatismus im faschistischen Italien: Das Privateigentum verschwindet nicht nur nicht unter dem starken Einfluss des Staates, sondern es kann seine Position sogar stärken.“

Schätzungen zufolge arbeiten in Belarus ca. 43 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Sektor. Diese Zahl nimmt jedoch allmählich ab. Da es keine exakten Statistiken gibt, ist es schwer, gesicherte Aussagen zu treffen – man kann aber sagen, dass die Zahl der staatlich geführten Unternehmen von 2018 bis 2019 um 3,5 Prozent gesunken ist. Dass der Anteil des öffentlichen Sektors und der staatlich kontrollierten Industrie in Belarus immer noch verhältnismäßig groß ist, macht die belarusische Wirtschaft jedoch nicht zu einer sozialistischen. Diese staatlichen Unternehmen werden nicht durch die Arbeiter kontrolliert, die Arbeitgeber sind dagegen nahezu allmächtig. Unabhängige, gut organisierte Gewerkschaften gibt es fast nicht. Es hat mehrere Anläufe zu einer groß angelegten Privatisierung gegeben, aber sie sind alle gescheitert, und das erlaubte es dem Staat, die Kontrolle über die Schlüsselindustrien zu behalten.

Die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Lukaschenko-Regimes lässt sich in keiner Weise als sozial orientiert bezeichnen. Es hat Sozialleistungen für Studenten, Rentner und andere Bevölkerungsgruppen abgeschafft, und zwar unter dem liberalen Slogan „von der sozialen Sicherung zur sozialen Entwicklung“. Diese Reformen wurden in der Anfangszeit des Regimes vorangetrieben, als einige Linke im Westen das belarusische Modell naiv als „Ikone“ im postsowjetischen Raum ansahen. Das Einzige, was das Regime mit Erfolg zu tun verstand, war, russische Kredite aufzunehmen, um den relativen Wohlstand zu erhalten. Diese Mittel hätten für die Modernisierung der Industrie und die Ausbildung der Beschäftigten verwendet werden können – aber das Regime tat nichts dergleichen. Stattdessen fütterte Lukaschenko die Bürokratie samt ihrer Machtstrukturen und gab kleine Almosen an die Beschäftigten des öffentlichen Sektors.

An dieser Stelle ließe sich eine kritische Frage stellen: Wenn Lukaschenkos Regime das Wachstum der Bourgeoisie gefördert hat, weshalb protestieren dann Teile von ihr, wenn man bedenkt, dass die wichtigste Protestorganisation, der Koordinierungsrat mit Swetlana Tichanowskaja, an der Spitze der Bourgeoisie steht, die den Neoliberalismus noch schneller vorantreiben möchte? Unter dem Gesichtspunkt des Historischen Materialismus muss der politische Wandel als ein dialektischer Konflikt zwischen den Produktivkräften (der Technologie, den Produktionsmitteln usw.) und den Produktionsverhältnissen (den Eigentumsverhältnissen, die u. a. mit politischen Mitteln geschaffen wurden) interpretiert werden: Der technologische Fortschritt konzentriert sich immer mehr in den Händen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe (der belarusischen Bourgeoisie), deren weitere Entwicklung und Etablierung durch das stagnierende politische Regime behindert wird. Die Frage ist also, ob der Autoritarismus Lukaschenkos die weitere Entwicklung des Kapitalismus in Belarus behindert.

Tatsache ist, dass es die neu entstandene Bourgeoisie war, die Mitte der 1990er Jahre nach einem Diktator verlangte, um die Lage zu stabilisieren. Damals war sie bereit, einen Teil ihres Einflusses zugunsten eines Autokraten aufzugeben. In dieser Zeit leistete das Regime ganze Arbeit, um der wachsenden Bourgeoisie das Feld zu bereiten: Unabhängige Gewerkschaften wurden zerstört, Sozialleistungen wurden gestrichen, das Rentenalter wurde angehoben, die Arbeiterklasse war völlig desorganisiert und atomisiert. Erschwerend kam hinzu, dass alle Mechanismen für den Rückhalt politischer und sozialer Rechte – einschließlich der Rechte der gewählten Vertretungskörperschaften und der Gerichte – der Exekutive untergeordnet wurden. Es ist nicht verwunderlich, dass es nie zu groß angelegten Protesten kam, wo doch die unabhängigen Arbeiterorganisationen und die linke politische Opposition unterdrückt wurden.

Heute ist die Situation ziemlich anders: Die Bourgeoisie ist inzwischen stark genug. Das zeigt sich u. a. daran, dass das Regime nicht einmal mehr vorgibt, Belarus sei ein sozial orientierter Staat. Da fragt sich, was die Bourgeoisie noch von einem autokratischen Regime hat, das regelmäßig Methoden anwendet, die für den „östlichen Despotismus“ charakteristisch sind. Jetzt, da ihr Weg zur Macht geebnet ist, braucht die liberale Bourgeoisie unabhängige Gerichte, eine eigene politische Vertretung und die Gewissheit, dass ihre Interessen nicht von den Stimmungsschwankungen einer Person abhängen, die alle Hebel der Macht in der Hand hat.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass die herrschende Klasse nicht monolithisch ist. Ein Teil der Bourgeoisie ist dem Regime gegenüber loyal, und es muss betont werden, dass ein bedeutender Teil des Großkapitals auf dessen Erhalt angewiesen ist. Die beiden herrschenden Gruppen sind sich darin einig, dass sie mehr Macht und höhere Profite wollen – selbst die radikalsten unter den Liberalen haben wiederholt die Möglichkeit eines Kompromisses mit dem Regime angedeutet. Außerdem ist es wichtig anzumerken, dass keine der derzeitigen liberalen Führungspersönlichkeiten ernsthaft über die Aufhebung des ausbeuterischen Arbeitsvertragssystems oder die Wiederherstellung der sozialen Sicherung spricht. Wenn sie Lukaschenko kritisieren, dann also nur deshalb, weil er die regimetreue Bourgeoisie bevorzugt, die zusammen mit dem Regime selbst von der Zerstörung des öffentlichen Sektors profitiert. Offensichtlich sind die Liberalen selbst nicht bereit, ihr politisches Programm der Demokratie zu vollenden. Da überrascht es nicht, dass die populäre Massenbewegung bereits viel radikaler ist als ihre Anführer und ihre Unterstützung nachlässt.

Wenn wir die Proteste realistisch und vom Standpunkt des Historischen Materialismus aus betrachten, so ist es kaum verwunderlich, dass die liberaldemokratische Revolution derzeit ins Stocken gerät. Ebenso wenig ist klar, wann die Protestierenden ihre Hauptforderung nach fairen Wahlen erreichen können – was überhaupt nur möglich erscheint, wenn Lukaschenko die Macht genommen wird.


Die Liberalisierung der Wirtschaft und die Arbeitsrechtsreform

Die Liberalisierung der belarusischen Wirtschaft, die von jeher auf der Tagesordnung des Regimes stand, hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren noch beschleunigt. In der Regierung tauchten regelrechte Neoliberale auf, die davon träumten, die Diktatur durch eine drakonische Liberalisierung der Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Und sie erschienen dort nicht von allein, sondern sie wurden von Lukaschenko selbst ernannt. Es ist durchaus bezeichnend, dass die neoliberalsten Minister stets in das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz berufen wurden. Es handelt sich dabei um einen natürlichen Prozess, der bereits in der Bildung des Regimes angelegt war. Die Bourgeoisie erstarkte und das Regime tat alles, um sie zu unterstützen. Jetzt fordert diese Klasse mehr Eigentum, mehr Macht, mehr Schweiß und mehr Blut.

In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts wurde überall in Belarus ein System kurzfristiger Arbeitsverträge eingeführt. Dieses System erlaubt es dem Arbeitgeber, die Beschäftigten jederzeit loszuwerden, während der Arbeitnehmer nicht das Recht hat, ohne Zustimmung des Arbeitgebers vor Ablauf des Vertrages zu kündigen. Diese Reform hat fast unbegrenzte Möglichkeiten für Ausbeutung geschaffen. Wenn eine Beschäftigte zum Beispiel versucht, für ihre Rechte einzustehen oder sich weigert, Überstunden zu machen, kann der Arbeitgeber sie einfach rauswerfen. Der Arbeitgeber kann sich eines Systems der Überausbeutung bedienen, während die Arbeitnehmer nicht einmal kündigen können, bis ihre Verträge enden.

Das Fehlen gut organisierter unabhängiger Gewerkschaften trägt zusätzlich zur Ausbeutung der Arbeiterklasse bei. Es gibt kleine unabhängige Gewerkschaften, die aber eher politische Clubs für Veteranen der Arbeiterbewegung und linke Aktivisten darstellen als richtige Gewerkschaften, deren Aufgabe in der Verteidigung der Arbeiter bestünde. Traditionell stark sind die Gewerkschaften lediglich unter den Bergleuten sowie in einer Handvoll weiterer Branchen – doch auch da handelt es sich nur um Überbleibsel des politischen Lebens der 1990er Jahre. Gegenwärtig versuchen unabhängige Organisationen die Protestmobilisierung zu nutzen, um die jahrelange Stille wiedergutzumachen. Die meisten Arbeiter sind allerdings in staatsnahen Gewerkschaften organisiert, in denen die Mitgliedschaft halb-verpflichtend ist. Diese Gewerkschaften sind ein Instrument zur Überwachung der Arbeiter und zum Schutz der Interessen der Administration. In gewisser Weise erinnern diese Gewerkschaften an die Deutsche Arbeitsfront während der Nazidiktatur.


Die wichtigsten politischen Akteure der Linken

Ein Hauptakteur der politischen Linken ist die Belarusische Vereinigte Linkspartei „Gerechte Welt“. Sie wurde 1991 unter dem Namen Partei der Kommunisten von Belarus (PKB) gegründet und 1993 in Partei der Belarusischen Kommunisten (PBK) umbenannt. Die Partei befand sich von Anfang an in der Opposition, zunächst gegen das nationaldemokratische Regime von Stanislau Schuschkewitsch, bevor sie 1994 zu einer entschlossenen Gegnerin Lukaschenkos wurde. Sie stellte schon bei den ersten Präsidentschaftswahlen einen eigenen Kandidaten auf, konnte aber nur 4,2 Prozent der Stimmen erringen. Dieses Ergebnis, so Pawel Katarscheuski, habe nicht überrascht, schließlich seien die Menschen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – und damit dessen, was sie unter „Sozialismus“ verstanden – demoralisiert gewesen. Doch schon bei den letzten demokratischen Wahlen zum Obersten Rat im Jahr 1995 erhielt die Partei 22 Prozent (45 Sitze), und auch die Agrarpartei, die in ihrer Politik der PBK ähnelte, konnte 45 Sitze gewinnen. Traurigerweise war das Ergebnis des Staatsstreichs von 1996 (den Lukaschenko als „Referendum“ bezeichnet), dass der demokratisch gewählte Oberste Rat zerstört und die Nationalversammlung – ein Marionettenparlament mit zwei Kammern – eingesetzt wurde. Gleichzeitig erhielt Lukaschenko gleichsam königliche Vollmachten, die in der neuen Verfassung festgeschrieben wurden. Zudem wurde seine bisherige Amtszeit als Präsident nicht angerechnet und ab dem Zeitpunkt der Verabschiedung der neuen Verfassung von vorne gezählt. Zur gleichen Zeit führten die Apparatschiks der Regierung eine Spaltung in der PBK herbei – so entstand eine Splittergruppe, die später eine neue Organisation ins Leben rief: die Kommunistische Partei von Belarus (KPB). Die KPB ist gegenüber Lukaschenko loyal und fungiert als parlamentarische Marionette seiner Regierung. Die Existenz dieser Partei hat den Zweck, die Wähler in die Irre zu führen; außerdem wirkt sie als Agentin des Regimes in der internationalen linken Bewegung. Die Partei ist eine Art bürokratischer Zweig der Regierung, aus deren Beamten sie hauptsächlich besteht, und wird finanziell vom Staat unterstützt.

Lukaschenkos Regierung übte großen Druck auf die Partei der Belarusischen Kommunisten aus, sodass ihre Aktivitäten 2006 für einige Monate ausgesetzt wurden, während die regimefreundliche Kommunistische Partei versuchte, die PBK zu annektieren, also die beiden Parteien zu vereinigen. Die PBK lehnte dieses „allgemeine“ Angebot ab; ihre Mitglieder stimmten dafür, eine unabhängige Partei zu bleiben. Die Angriffe der Regierung auf die PBK setzten sich daraufhin fort – mit dem Argument, dass die Existenz von zwei kommunistischen Parteien eine Anomalie sei. In der Folge änderte die PBK 2009 ihren Namen in Belarusische Vereinigte Linkspartei „Gerechte Welt“. Mit ihren etwas mehr als 1.000 Mitgliedern ist sie eine relativ kleine Organisation. Ihr Minimalprogramm ist die Demokratisierung des politischen Systems, ihr strategisches Ziel besteht jedoch im Aufbau eines Sozialismus, der auf den Grundwerten von Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit und Gleichheit basiert. Sie nimmt an den belarusischen Pseudowahlen teil, macht sich aber keine Illusionen über deren Fairness.

Daneben gibt es noch einige weitere linke politische Akteure in Belarus. Bemerkenswerterweise verfügt das Land über drei sozialdemokratische Parteien mit fast identischen Namen. Das kommt daher, dass alle drei Parteien das historische Erbe der Belarusischen Sozialdemokratischen Versammlung (BSV) für sich beanspruchen. Diese wurde 1902 als erste belarusische Partei gegründet und bildete eine revolutionäre politische Kraft auf dem belarusischen Gebiet des Russischen Reiches. Die größte der drei Parteien ist die Mitte-Links-Partei Belarusische Sozialdemokratische Partei (Versammlung) mit ihrem Vorsitzenden Ihar Baryssau, die sich ebenfalls gegen Lukaschenkos Regierung stellt. Sie gehört der Sozialistischen Internationale an, verfügt aber wie andere Oppositionsparteien auch über keine Sitze in der gesetzgebenden Körperschaft. Daneben gibt es eine Mitte-Rechts-Partei, die Belarusische Sozialdemokratische Versammlung, die keiner internationalen Vereinigung angehört. Ihr ehemaliger Vorsitzender Stanislau Schuschkewitsch unterzeichnete zusammen mit Boris Jelzin und Leonid Krawtschuk 1991 das sogenannte Belowescher Abkommen zur Auflösung der Sowjetunion. Ihr neuer Parteivorsitzender ist Sjarhej Tscheratschen. Schließlich gibt es noch die Belarusische Sozialdemokratische Partei (Volksversammlung) mit ihrem Vorsitzenden Mikalaj Statkewitsch, die ebenfalls Mitglied der Sozialistischen Internationale ist, jedoch eher eine Art populistische politische Partei darstellt.

Mit der Belarusischen Grünen Partei gibt es noch eine weitere nominell linke politische Kraft, die auf jedem ihrer Parteitage zwischen links und liberal oszilliert. Bei ihrem letzten Kongress sind die Grünen nun nach links gerückt. Allerdings verfügen sie über keine umfangreiche politische Struktur und ähneln in ihrer Funktionsweise eher einem politischen Club.

Aus dem Englischen von Thomas Zimmermann

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